Sieben Wochen verbrachte Herr F. auf der Intensivstation. Die ersten Tage dem Tod näher als dem Leben. Sieben Tage künstliches Koma und 13 Tage Wachkoma konnten ihn nicht in die Knie zwingen. Seine Familie war seine Motivation, sich nicht aufzugeben.
Schmerzen aus dem Nichts
Am Donnerstag spielte Thomas Färber nach Feierabend mit einem Freund Squash. Völlig schmerzfrei und, wie er dachte, gesund. Auch der nächste Tag begann als ganz normaler Tag für den IT-Spezialisten. Doch am frühen Abend des 5. Dezembers 2014 spürte er einen ersten Schmerz in der Hüfte. „Dieser stechende Schmerz war gegen 22.00 Uhr so stark, dass ich es nicht mehr ausgehalten habe. Ich bin dann in die Notaufnahme ins Heidenheimer Krankenhaus gegangen.“
Dort wurde er drei Stunden untersucht und mit Schmerzmitteln und der Bitte, sich am Montag zu einem Orthopäden zu begeben, wieder heim geschickt. Doch die Schmerzmittel halfen nicht und gegen 5.00 Uhr konnte Färber nicht mehr stehen, liegen oder sitzen. Ein Krankenwagen brachte ihn dann direkt in die Chirurgie des Heidenheimer Krankenhauses.
Und dann ging alles rasend schnell. Das Blutbild bestätigte den ersten Verdacht einer Blutvergiftung (Sepsis) und die Suche nach dem Infektionsherd hatte begonnen. Den ganzen Samstag wurde er von verschiedenen Ärzten aus unterschiedlichen Fachbereichen untersucht. „Am Sonntagmorgen lag ich bereits auf der Intensivstation, als ein Arzt meiner Frau und mir erklärte, dass meine Frau sich mit dem Gedanken beschäftigen solle, dass diese Geschichte eventuell nicht gut ausgehen würde“, erinnert sich Färber. „Auf meine Nachfrage meinte der Arzt dann, dass er nicht wisse, ob ich die nächsten drei Tage überleben würde.“ Zu dem Zeitpunkt war er schon so mit Morphin vollgepumpt, dass dieser Satz der letzte ist, an den er sich erinnern kann.
Der behandelnde Chefarzt der Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, Prof. Dr. med. Alexander Brinkmann erklärt dazu: „Dieses Krankheitsbild hat eine Sterblichkeit quer durch alle Altersklassen von 30 bis 70 Prozent. Was Thomas Färber sicherlich das Leben gerettet hat, das war eine zeitnahe mikrobiologische Diagnostik. Die Blutkulturen waren positiv, wir haben dort in der Mikroskopie Streptokokken gesehen und die Therapie sofort an diese Bakterien angepasst und Penicillin-G eingesetzt. Von diesem Zeitpunkt an ging dann alles in Richtung Heilung. Und ich muss sagen, unser Patient hat auch brillant mitgespielt.“
Sieben Tage künstliches Koma und 13 Tage Wachkoma
Noch wusste niemand, wo sich der Entzündungsherd befand. Eine Lungenentzündung (Pneumonie) schwächte Färbers Körper zusätzlich und weitere Organe waren auch schon befallen. Da unter Spontanatmung mit nichtinvasiver Beatmungsunterstützung zu wenig Sauerstoff in den Körper gelangte, wurde er am Dienstag (9.12.2014) intubiert und für diese kontrollierte Beatmung sieben Tage ins künstliche Koma versetzt.
Die Ärzte mussten einen Luftröhrenschnitt machen und waren ein- oder zweimal kurz davor, eine Herz-Lungenmaschine (ECMO) anzufordern.
In dieser Zeit lagerte sein Körper auch zwischen 25 und 30 Liter Wasser ein, da bei einer Sepsis ein Leck in den kleinsten Blutgefäßen (kapilläres Leck) entsteht.
Obwohl Färber nur sieben Tage im künstlichen Koma war, kann er sich auch an die Zeit danach nicht erinnern: „In den 13 Tagen nach dem künstlichen Koma war ich zwar ansprechbar und habe auch geantwortet, kann mich allerdings an nichts mehr erinnern. An gar nichts mehr. Ich war dann in dieser Phase auch extrem aggressiv, was ich von mir gar nicht kenne. Aber da hat man mir erklärt, dass das oftmals der Fall ist, wenn man aus dem Koma aufwacht. Man musste mich sogar ans Bett fixieren.“
Da die Schmerzen ausschließlich von der Hüfte abstrahlten, erfolgte am 17.12.2014 die erste Operation. Dabei wurde die Hüfte geöffnet, ein Abstrich gemacht, ausgespült und Antibiotikataschen eingelegt. Alles war hochgradig entzündet und - möglicherweise - auch der Herd der Sepsis.
Genau genommen haben sich die Streptokokken auf der Knorpelschicht des Hüftkopfes abgesetzt. Da dieser generell weniger gut durchblutet ist, können die weißen Blutkörperchen nicht agieren. Und Penicillin kommt auf dem Blutweg ebenfalls schlecht dort hin. „Als der Schmerz begann, war die Knorpelschicht höchstwahrscheinlich schon komplett von den Bakterien zerfressen und nur noch Mus“, erklärt Färber den Zustand seiner Hüfte.
Zurück ins Leben
„Der 27.12.2014 war der erste Tag, an dem ich realisiert habe, dass ich noch am Leben bin. Dieses Gefühl ist unbeschreiblich. Ich bin zwei Tage wie geflogen. Ich hatte ein Hochgefühl, das kann man überhaupt nicht beschreiben.“ Färber gerät ins Schwärmen, wenn er darüber berichtet. Zu dem Zeitpunkt war sein Zustand stabil und für ihn war klar, dass er es schaffen würde.
Doch den Ärzten bereitete er noch Kopfzerbrechen. Denn sobald man das Antibiotikum absetzte, stiegen die Entzündungswerte sofort wieder an. Daher wurde ihm zwei Tage nach seinem bewussten Aufwachen am 29.12.2014 die Hüfte operativ entfernt. Nach der Entnahmen wurde diese dann scheibchenweise aufgesägt und Streptokokken im Inneren des Hüftkopfes entdeckt.
Als Anfang Januar mit Lymphdrainage begonnen wurde, hat Färber dann pro Tag rund zehn Liter Urin verloren. Mit dem Verlust des Wassers kam dann die Beweglichkeit wieder.
Die Entzündungswerte gingen nun stetig zurück und am 6.01.2015 konnte man bereits davon sprechen, dass er entzündungsfrei war. Die Entnahme des Hüftgelenks war also das einzig Richtige gewesen.
Doch ein riesiger Bluterguss im Brustraum bereitete Färber noch große Probleme. Dieser schränkte sein Lungenvolumen derart ein, dass er große Probleme beim Atmen hatte. Dieser Bluterguss war während der Blutvergiftung entstanden und wurde ihm am 13.1.2015 in einer weiteren Operation entfernt. Mitte Januar konnte er dann dauerhaft auf das Beatmungsgerät verzichten und seine Lunge hat sich in den folgenden vier Wochen vollständig regeneriert.
Die Genesung
An der Bettkante oder auf dem Stuhl sitzen oder das erste Mal wieder auf den eignen Beinen stehen. Das waren riesen Erfolge. Färbers Genesung schritt weiter voran und so konnte er am 10.2.2015 das Heidenheimer Krankenhaus zum ersten Mal verlassen. Der Termin zum Einsetzen der neuen Hüfte war erst für den 13.3.2015 geplant.
Knapp vier Wochen später wurden bei den Voruntersuchungen zur Operation Bakterien festgestellt und der Termin zum Einsetzen der neuen Hüfte abgesagt. Wie sich später herausstellen sollte, handelte es sich schlichtweg um ein Missgeschick im Labor und das hatte zur Folge, dass noch einmal operiert und gesäubert wurde. Ein weiterer Abstrich war dann allerdings in Ordnung. So erhielt Färber seine neue Hüfte mit Verzögerung erst am 1.4.2015. Diese letzte Operation verlief sehr erfolgreich. Doch dann wurden bei ihm drei Tage später Clostridium difficile festgestellt. Dieses hochansteckende Magen-Darm-Bakterium ist zwar nicht lebensgefährlich, doch quarantänepflichtig. Diese Keime entstehen im Magen-Darm-Trakt häufig nach lang andauernden Antibiotikabehandlungen. So musste Färber noch einmal zehn Tage isoliert werden.
Am 13.4.2015 war es dann endlich soweit und Thomas Färber konnte endgültig aus dem Krankenhaus entlassen werden. Nach einer vierwöchigen Reha und drei weiteren Wochen zuhause, begann er am 26.5.2015 mit seiner beruflichen Wiedereingliederung und ist seit dem 20.06.2015 auch wieder voll im Berufsleben zurück.
Schöne Aussichten
Wie die Bakterien in seinen Körper gelangen konnten, dafür gibt es für Färber nur eine Erklärung: „Ich bin Diabetiker und habe eine Insulinpumpe am Bauch. Den Katheter wechsele ich, wie der Hersteller empfiehlt, alle drei Tage. Immer mal wieder hatte ich bereits nach dem zweiten Tag eine Entzündung im Bauchraum und habe dann den Katheter früher gewechselt. Durch so eine Entzündung könnten Bakterien in und durch den Körper wandern. Die Ärzte bestätigten diese Vermutung später auch. Diese Bakterien haben sich dann auf der Hüfte abgesetzt und konnten irgendwann explosionsartig den Körper überfallen.“
Noch geht Färber regelmäßig einmal die Woche zur Krankengymnastik und lässt nicht locker, bis auch das letzte Manko, eine Lähmung des Peroneusnerves (verläuft vom Rücken über die Kniekehle bis zum Zeh) zurückgeht. Dieser Bereich wurde während der Sepsis-Phase durch das Liegen gequetscht. Dadurch hatte er eine Fußheberschwäche und eine Lähmung des Fußes. War der Fuß zuerst komplett gelähmt, kann er mittlerweile die vier Zehen wieder heben, den großen Zeh allerdings noch nicht. Aber in Verbindung mit einem normalen Schuhwerk benötigt er keine Schiene mehr. „Das sind die zwei Prozent Beeinträchtigung, die ich noch habe, neben den 14 Kilogramm Muskelmasse, die in dem halben Jahr abgebaut wurden und noch fehlen. Erst jetzt fange ich an, mich schneller als gehend zu bewegen.“
Einen guten Rat für Angehörige
An die Angehörigen hat Professor Brinkmann auch einen Rat: „Treten Sie in Kontakt mit dem Pflegepersonal und mit den verantwortlichen Ärzten; suchen Sie das Gespräch. Das ist für den Laien wichtig, um die beängstigenden Situationen und Rahmenbedingungen auf einer Intensivstation zu verstehen. Regelmäßige Gespräche helfen Ängste zu reduzieren und Verständnis für die komplexen Abläufe auf einer Intensivstation zu vermitteln. Ein zentraler Ansprechpartner der Familie ist für das Personal auf einer Intensivstation unerlässlich und überaus hilfreich. Wir sind Tag und Nacht für den Patienten, aber auch für die Angehörigen da. Auch wenn ihr Angehöriger nicht mit Ihnen kommunizieren kann und den Eindruck erweckt zu schlafen bzw. sich im künstlichen Koma befindet, sprechen sie ihn an und berühren sie ihn. Liebevolle Zuwendung hilft in allen Lebenslagen und somit auch in beängstigenden und potentiell lebensbedrohlichen Situationen auf einer Intensivstation.“